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Schwellenländer: Licht und Schatten

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Die Volkswirtschaften vieler Schwellenländer können langfristig vom Entstehen und Wachsen einer Mittelschicht profitieren. Dennoch bleibt die Kursentwicklung an ihren Aktienmärkten kurzfristig oft eng mit weltwirtschaftlichen Entwicklungen insgesamt und verbunden. Deshalb erweisen sich die hohe Inflation und die Zinserhöhungen in den etablieren Volkswirtschaften als Belastungsfaktor. Eine mögliche Rezession dort ginge auch nicht spurlos an den Schwellenländern vorüber.

Kapitalmarktexperten erwarten aber unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Schwellenländer. Bei der belgischen Investmentgesellschaft Degroof Petercam Asset Management (DPAM) geht man davon aus, dass Osteuropa und Ostasien die Hauptlast einer Konjunkturabschwächung tragen müssten. Im Hinblick auf Lateinamerika bleibt man optimistischer. Caleb Coppersmith, der Analyst für Emerging Markets bei DPAM sieht „keine Pulverfässer“, welche die Volkswirtschaften der Industrieländer gänzlich aus der Bahn werfen könnten. Folglich dürfte der zu erwartende Abschwung „eher wie ein Schwelbrand als wie eine Explosion wirken“. Was die Lage schwieriger mache, seien die Rohstoffpreise – insbesondere für Energie und Lebensmittel. Bei DPAM geht man davon aus, dass sie aufgrund der angebotsseitigen Versorgungsschwierigkeiten hoch bleiben und damit den Inflationsdruck verstärken. Die Schwäche in China und die Unberechenbarkeit Russlands stellen schwer einschätzbare Risiken für die Rohstoffpreise dar.

Auch Thierry Larose, Portfolio Manager und Analyst bei der Investmentgesellschaft Vontobel äußerte sich unlängst überwiegend positiv zu den Schwellenländern. Sie stünden zwar weiterhin vor Herausforderungen und der Appetit auf risikoreiche Anlagen im Allgemeinen dürfte gedämpft bleiben, bis der globale Inflationsdruck nachlasse und die chinesische Wirtschaft wieder Vollgas gebe. Doch eine Reihe einst fragiler Volkswirtschaften sehe inzwischen besser aus.

 

Lateinamerika

Überwiegend positiv fällt die Beurteilung der Entwicklung in Lateinamerika durch die Fachleute aus. So meint man bei DPAM, Lateinamerika scheine im Großen und Ganzen gut aufgestellt zu sein, um den Sturm zu überstehen, weil die meisten großen Volkswirtschaften diversifizierte Exportländer sind, die Rohstoffe nach Asien, Nordamerika und Europa liefern. Die große Ausnahme bildet Mexiko, wo das verarbeitende Gewerbe eng in die US-amerikanischen Lieferketten eingebunden ist. Deshalb hänge die wirtschaftliche Entwicklung in Mexiko stärker von der Konjunkturentwicklung in den USA ab. Ihre vergleichsweise positive Bewertung Lateinamerikas schließen die DPAM-Experten allerdings mit einem Hinweis auf politische Unsicherheiten wie Wahlen in Brasilien, das Ergebnis eines Referendums in Chile, die neue Regierung in Kolumbien und politische Instabilität in Ecuador und Peru. „Extreme Entwicklungen“ seien allerdings unwahrscheinlich.

Vontobel-Experte Larose hebt die Entwicklung in Brasilien hervor. Vor knapp zehn Jahren hätte es dort mehr Problemen gegeben: ein exzessives Kreditwachstum, diverse hochriskante wirtschaftspolitische Experimente und eine dramatische Überbewertung der brasilianischen Währung Real, die einen überbordenden Konsum von Importgütern anheizte. Dies habe die anschließende tiefe Rezession bereinigt. Die Zahlungsbilanzungleichgewichte hätten sich danach durch die Abwertung der brasilianischen Währung angepasst.

 

Osteuropa

Sorgen bereitet den Experten vor allem Osteuropa. Russland unter Putin hat sich selbst mit seinem Angriffskrieg aus dem Universum der investierbaren Länder gestrichen, leidet längerfristig stark unter den Sanktionen, von denen ein Teil erst im kommenden Jahr in Kraft tritt, und dürfte vor einem wirtschaftlichen Niedergang stehen, wenn es nicht zu einem echten Regimewechsel kommt. Ungarn unter Orban ist nach Einschätzung des Europaparlaments keine Demokratie mehr und dürfte die Streichung von EU-Zahlung erleben. Sehr negativ bewerten Fachleute auch die Türkei unter Erdogan. „Illiberaler Populismus und staatlicher Größenwahn führten zu einer toxischen Wirtschaftspolitik. Die Folge: eine Zahlungsbilanzkrise und galoppierende Inflation.“, schreibt Vontobel-Experte Larose über die Türkei. „Wir können nur hoffen, dass die Lage sich stabilisiert und bald eine Trendumkehr einsetzt.“ Die Volkswirtschaften Osteuropas, auch der Nicht-EU-Mitglieder, seien in hohem Maße mit den Lieferketten Westeuropas verflochten. Ausfuhren in andere europäische Länder machen im Durchschnitt fast 90 Prozent der Gesamtexporte der Region aus. Die größte Schwachstelle Europas sei die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen. Den Preis für Jahrzehnte billigen Gases werde Deutschland jetzt wohl mit Energiekrise und Rezession zahlen. Weil Deutschland aber das größte Exportziel für die meisten osteuropäischen Länder ist, macht sich eine Rezession in Deutschland auch bei seinen Nachbarn negativ bemerkbar. Auch auf der Seite der Zinsentwicklung seien die Perspektiven in Osteuropa schlechter als in Lateinamerika. Und schließlich berge die Nähe zum Russland-Ukraine-Konflikt ein zusätzliches, wenn auch unwahrscheinliches Risiko. Allerdings ist die Staatsverschuldung der zentral- bzw. osteuropäischen Staaten meist relativ gering. Aufgrund der Mitgliedschaft oder Partnerschaft mit der EU sind die Finanzierungsmöglichkeiten zudem günstig.

 

Ostasien

Auch für die ostasiatischen Volkswirtschaften ist die Staatsverschuldung gemeinhin kein Problem, weil hier Leistungsbilanzüberschüsse überwiegen. Trotzdem dürften auch auf Ostasien, wo einige der exportabhängigsten Länder der Welt angesiedelt sind, schwierige Zeiten zukommen. Auch wenn die Ausfuhren nach Europa und Nordamerika im Durchschnitt nur etwa 30 Prozent des Gesamtvolumens der Region ausmachen, dürften die ostasiatischen Volkswirtschaften von einer Schwäche der etablierten Volkswirtschaften stärker getroffen werden. So würden nicht wenige Exportgüter zunächst zur Weiterverarbeitung in andere Länder ausgeführt, letztendlich aber doch an die Verbraucher in den Industrieländern verschifft. Hinsichtlich Zinserhöhungen liegt Asien weit hinter den USA zurück. Die meisten Zentralbanken haben, wenn überhaupt, erst im April mit Zinserhöhungen begonnen. Bislang war die Inflation dort aber auch nicht so hoch.

Bei Vontobel hält man Indonesien für die beeindruckendste Erfolgsgeschichte aller Schwellenländer der vergangenen Jahre: „Starkes, integratives Wachstum, konsequente Reformdynamik, stabile Politik, glaubwürdige Institutionen, beispielhafte ökonomische Maßnahmen“. Fortschritte habe auch Indien gemacht. Zu den zahlreichen Strukturproblemen gehörten weitverbreitete Korruption, mangelhafte staatliche Leistungen, schlechte Infrastruktur und ein beklagenswerter Zustand des Banken- und Energiesektors. Seit 2014 habe die marktfreundliche Wirtschaftspolitik der Regierung unter Premierminister Narendra Modi aber zu Verbesserungen geführt. Inzwischen habe die indische Zentralbank enorme Devisenreserven aufgebaut. Allerdings sei Indien wegen seiner starken Abhängigkeit von Ölimporten weiterhin anfällig.

 

Fazit

Während sich die Weltwirtschaft angesichts hoher Inflation und geopolitischer Krisen in keinem guten Zustand befindet, zeigt ein Blick auf die Schwellenländer, dass es auch Fortschritte gibt. Vor allem Indonesien, Indien und Brasilien, aber auch Südafrika ist es gelungen, ihre Volkswirtschaften so zu stabilisieren, dass sie nicht länger als fragil gelten. Negativ-Beispiele wie die Türkei und -natürlich Russland- zeigen aber auch, dass Investments in Schwellenländern Risiken bergen, die in hohem Maße durch die dort Regierenden verursacht werden.

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