Sich deshalb nicht an diesem Spiel zu beteiligen, ist legitim. Der Markt liefert das sogenannte „Beta“. Und das ist kein Nullsummenspiel, sondern langfristig positiv. Wer also nicht an den Berufsstand der Fondsmanager glaubt, begnügt sich mit eben diesem „Beta“ und kauft Indexfonds und entsprechende ETFs.
Diejenigen aber, deren Aufgabe es ist, den Index zu schlagen, suchen nach Wegen, dies nicht nur zufällig manchmal zu schaffen, sondern systematisch, reproduzierbar und somit immer wieder. Das klassische Stock-Picking geht dabei „Bottom Up“ vor, analysiert jede Aktie für sich und entscheidet, ob sie sich im Fondsportfolio wiederfindet oder nicht. Langfristig dürfte der fundamentale Wert des Unternehmens den Wert der Aktie bestimmen: Die Bewertung der Aktie ist deshalb ein wichtiges Instrument. Dabei kann man mehr auf gegenwärtige Substanz und Gewinne abstellen („Value“) oder auf Wachstum und Qualität („Growth“ und „Quality“). Langfristig haben zudem Aktien mit kleinerer Marktkapitalisierung („size“) eine bessere Performance gezeigt als sogenannte „large caps“. Dividenden sind langfristig ebenfalls eine wichtige Quelle der (Out-) Performance („yield“). Kurzfristig gilt aber meistens: Aktien mit positivem „Momentum“ haben gute Chancen, auch in näherer Zukunft besser abzuschneiden. Wer schließlich Risiken geringhalten will, kann auf Aktien setzen, die weniger Kursschwankungen zeigten („Low Volatility“). Tatsächlich erklärt die Zuordnung zu solchen Eigenschaften einen Großteil der Kursentwicklung. Hier spricht man von „Faktoren“.
Eine Studie von MSCI bezifferte den Einfluss dieser Faktoren auf 55 Prozent der Performance aktiver Aktienfonds. Mithin setzen zunehmend Fondsstrategien bewusst auf solche Faktoren. Allerdings würde es den Grundsätzen der Risikodiversifizierung widersprechen, nur auf einen Faktor zu setzen. Also versucht man mit „Multi-Faktor-Strategien“ die Performancetreiber verschiedener Faktoren für ein optimierten Rendite / Risiko – Verhältnis zu nutzen. Bis dahin besteht weitgehend Konsens, zumindest unter Anbietern von Multi-Faktor-Fonds.
Interessant wird die Sache bei der Frage „In welche Faktoren soll man investieren und wann?“. Mathilde Franscini von Safra Sarasin nennt das die Schlüsselfrage: Die Rückschau zeigt, dass phasenweise bestimmte Faktoren sehr gut abschneiden, langfristig eine Outperformance erreichen, aber es auch immer wieder Phasen gibt, in denen bestimmte Faktoren dies nicht schaffen. Sind Versuche, das Gewicht der Faktoren im Zeitablauf aktiv zu verändern, aussichtsreich oder als „Timing-Versuche“ zum Scheitern verurteilt? Safra Sarasin setzt auf eine enge Verknüpfung mit dem Konjunkturzyklus: „Die Renditen der Faktoren sind nicht zufällig. Sie sind ganz eng mit dem Konjunkturzyklus verknüpft.“ Dementsprechend wird beim JSS Sustainable Equity Global Multifactor die Gewichtung der Faktoren gesteuert: In einem frühen Konjunkturaufschwung wird „aggressiv“ investiert: 50 Prozent für den Faktor „Value“ und je 25 Prozent für „Momentum“ und „Quality“, denn Value-Werte profitieren von frühen Erholungsphasen. Schon auf dem Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs wird das Value-Gewicht aber auf 30 Prozent gekürzt. In dieser Expansionsphase setzt man mit 50 Prozent „Momentum“ darauf, dass sich die beobachteten Trends (relative Stärke über 12 Monate) noch fortsetzen. Für „Quality“ bleiben in dieser Phase also nur 20 Prozent. Dieser wird aber auf einen Anteil von 40 Prozent verdoppelt, wenn der Konjunkturzyklus weit fortgeschritten ist. Die oft stärker von der Konjunktur abhängigen „Value“-Aktien werden nun schon auf nur 10 Prozent reduziert. In einer Rezession schließlich sollen sie gar nicht in der Allokation vertreten sein. Aufgrund ihrer stabilisierenden Wirkung werden „Low Volatility“-Aktien in der spätzyklischen Phase zunächst mit 10 Prozent Anteil aufgenommen. In der Rezessions-Phase soll ihr Anteil dann sogar 50 Prozent ausmachen. Die andere Hälfte entfällt dann auf Qualitäts-Aktien, die sich in einem schwachen Konjunkturumfeld ebenfalls besser halten sollten.
Seit dem Start des Fonds 2018 (zunächst in der US-Dollar-Anteilsklasse) hat sich die Strategie in verschiedenen Konjunkturphasen beweisen müssen, wobei das Abrutschen aus der Expansionsphase in eine kurze Rezession 2020 Corona-Pandemie-bedingt so schnell erfolgt war, dass die spätzyklische Phase übersprungen wurde. Ab November 2020 identifizierten die Modelle eine Erholung, ab Mitte 2021 Expansion. Aktuell, zur Jahresmitte 2022, sieht man bei Safra Sarasin den Wechsel der Zyklusphase von „Mid“ zu „Late“, was Umschichtungen von Value-Werten in Qualitäts- und Low Volatility-Aktien zur Folge hat.
In dem schwierigen Börsenumfeld 2020 und 2021 erzielte der Fonds tatsächlich eine Outperformance – gegenüber anderen Multi-Faktor-Strategien, dem MSCI All Countries und dem Durchschnitt global anlegender Aktienfonds. Das Umschalten auf Aktien mit geringeren Risiken jetzt in der Mitte dieses Jahres kam, das lässt sich rückblickend leicht sagen, ein paar Monate zu spät, was die Risiken dieses Timings nach Konjunkturzyklus zeigt. So wundert es auch nicht, dass bei anderen Investmentgesellschaften Timing-Versuche kein Teil der Strategie sind, auch nicht solche von Faktoren.
Fazit: Noch ist es zu früh, um ein Urteil über die konjunkturabhängige Gewichtung von verschiedenen Faktoren zu fällen. Fest steht aber, dass die Analyse und der Einsatz von Faktoren, gleichsam als dritte Performancequelle zwischen klassischem Alpha und Beta, einen festen Platz im Instrumentarium von Asset-Managern eingenommen hat.