Im Weltwirtschaftsausblick, den der Internationale Währungsfonds (IWF) zum Auftakt der Jahrestagung von IWF und Weltbank vorgelegt hat, heißt es „das Schlimmste kommt noch“. Nachdem 2021 von der Erholung nach der heftigen, aber kurzen Corona-Rezession geprägt war, dürfte sich das globale Wirtschaftswachstum von 6 Prozent auf 3,2 Prozent in 2022 und nur 2,7 Prozent 2023 abschwächen. Abgesehen von den Rezessionen durch die Finanzkrise 2008 und die Pandemie 2020 ist das die langsamste Konjunkturentwicklung seit 20 Jahren. Jüngst sah es zudem nach einer weitgehend synchronen, also gleichzeitigen, Schwäche aller großer Volkswirtschaften aus.
Jenna Barnard, Co-Head of Strategic Fixed Income und Portfolio Manager bei Janus Henderson Investors erklärte dazu: „Alle von uns routinemäßig verfolgten langfristigen Konjunkturindikatoren sind in diesem Jahr auf Werte eingebrochen, die auf eine ungewöhnlich synchron verlaufende globale Rezession hindeuten.“
Die US-Wirtschaft schrumpfte schon im ersten Halbjahr dieses Jahres, dürfte aber im Vergleich zu Europa einen milderen Verlauf der Rezession erleben. Europa, insbesondere die größte europäische Volkswirtschaft, Deutschland, leidet dagegen unter der Energiekrise, die wiederum entscheidend durch den Gaslieferstopp Russlands ausgelöst wurde. Russland lieferte zuletzt nur noch 20 Prozent der Liefermenge des Vorjahres. (Der Gaslieferstopp ist nicht Teil westlicher Sanktionen. Vielmehr versucht Russland damit Zugeständnisse von Westeuropa durchzusetzen.) Der Gaspreis hat sich gegenüber dem Vorjahr ungefähr vervierfacht, was solche Länder hart trifft, die sich in großem Maße von russischem Gas abhängig gemacht haben. Dies ist noch vor Italien und Österreich Deutschland. Auch der IWF sieht Deutschland als Hauptverlierer unter allen großen Industrieländern: Nach einem schon unterdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum von nur 1,5 Prozent in diesem Jahr erwarten die Experten des IWF für Deutschland 2023 ein Absinken der Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent. Die gesamte Eurozone dürfte damit 2023 nur um 0,5 Prozent wachsen. „Der kommende Winter wird schwierig für Europa, aber wahrscheinlich noch schlimmer 2023.“, heißt es.
China fällt als Konjunkturlokomotive ebenfalls aus, auch wenn es dort jüngst auch Anzeichen für eine Stabilisierung der Konjunktur gab. Allerdings haben häufige Lockdowns zur Eindämmung der Pandemie einen hohen wirtschaftlichen Tribut gefordert. Insbesondere im zweiten Quartal dieses Jahres wurden die chinesische Wirtschaft durch drakonische Maßnahmen Pekings massiv gestört. Zudem bleibt der Immobiliensektor ein Sorgenkind für die chinesische Volkswirtschaft. Sollten sich die staatlichen Eingriffe in die chinesische Wirtschaft so nicht wiederholen, dürfte sich die allmähliche Normalisierung der zuvor gestörten Lieferketten aber fortsetzen. Die Transportengpässe im internationalen Güterschiffsverkehr bauen sich ab, was sich an den Preisen dort zeigt.
Die Börsen haben eine Schwäche der Weltkonjunktur zumindest bis Mitte 2023 eingepreist und hoffen, dass dies möglichst bald ein Ende der Zinserhöhungspolitik der großen Notenbanken begründet. Im Kampf gegen die hohe Inflation könnten die Notenbanken nun über das Ziel hinausschießen und die Wirtschaft schädigen. Jenna Barnard von Janus Henderson Investors sieht „das Risiko eines geldpolitischen Overkills“, zumal die dort beobachteten weiter in die Zukunft reichenden Frühindikatoren auf eine schwerere und länger anhaltende Rezession hindeuten würden. Diese Frühindikatoren sind die Entwicklung der Geldmenge, der langfristige Frühindikator des Economic Cycle Research Institute (ECRI), der Immobilienmarkt und die Zinskurve. „Bei den vorlaufenden Indikatoren gibt es keine Anzeichen für eine Trendwende, und das Wachstum dürfte frühestens im zweiten Quartal 2023 seinen Tiefpunkt erreichen.“ Bei Janus Henderson erwartet man deshalb, dass „die Märkte ihre Inflationssorgen bald ablegen und sich stattdessen auf das fehlende Wachstum und die rezessiven Aussichten konzentrieren.“
Auch andere Kapitalmarktexperten erwarten, dass die verschlechterte Entwicklung der Unternehmensgewinne die Aktienmärkte in den kommenden Monaten noch belasten wird. Viele Anlagestrategen raten deshalb weiterhin zu geringen Aktienquoten und höherer Liquidität. Allerdings nehmen auch die Stimmen derer zu, die das aktuelle Kursniveau für langfristig attraktiv halten. Die Börsen werden mit ihrer Trendwende nicht das Ende der Rezession abwarten, sondern schon vorher nach oben drehen.