Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der Zenit des Inflationsanstiegs nahe ist. Allerdings dürfte der Anstieg des Preisniveaus in den meisten westlichen Volkswirtschaften klar oberhalb der Zielgrößen (von rund zwei Prozent) bleiben. Schon auf eine Lockerung der Geldpolitik zu setzen, ist deshalb eine optimistische Haltung, die enttäuscht werden könnte, wenn es nicht zu einem stärkeren Konjunktureinbruch kommt, was dann auch die Aktienmärkte belasten würde, wenn auch aus anderen Gründen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF, englisch „IMF“) hat seine Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft in diesem Jahr auf 3,2 Prozent gesenkt, was ins Bild einer Abschwächung, aber nicht einer harten Rezession passt. Der Blick auf die Einkaufsmanagerindizes zeigte jüngst eine weitgehend synchrone Abschwächung auf ein Niveau knapp oberhalb der 50er Marke, die die Grenze zwischen Verbesserung und Verschlechterung markiert. Der von JP Morgan aggregierte globale Einkaufsmanagerindex sank von 52,2 auf 51,1. Die von den Investmentgesellschaften oft geäußerten Hoffnungen, dass China wieder eine Lokomotivfunktion für die Weltwirtschaft übernehmen kann, geraten zunehmend auf dünnes Eis. Der Kupferpreis stabilisierte sich zwar oberhalb von 7.000 US-Dollar pro Tonne. Eine Preiserholung, die den Preisrutsch vom Juni auch nur annähernd ausgleichen könnte, ist aber nicht in Sicht.
Gegenüber dem Vormonat hat sich das Gesamturteil unserer „Weltkonjunkturampel“ von fünf- auf nur dreimal „grün“ bzw. von zwei- auf viermal „rot“ verschlechtert. Neben der IWF-Wachstumsprognose ist dafür die Abschwächung des globalen Einkaufsmanagerindex verantwortlich: Zwar liegt er mit 51,1 oberhalb von der 50er Marke, aber mit so geringem Abstand, dass das (in diesem Fall negative) 3-Monats-Momentum über die Ampel entscheidet.
Am Basisszenario ändert das nichts: Es ist für dieses Jahr weiterhin von einem realem Wachstum der Weltwirtschaft in der Bandbreite von 2,5 bis 3,5 Prozent auszugehen – mit besseren Chancen, am oberen Rand zu landen. Für die Aktienmärkte wäre eine Gradwanderung zwischen so viel Konjunkturabschwächung, dass die Geldpolitik lockerer werden kann, und so viel Wachstum, dass die Unternehmensgewinne das hohe Niveau halten können, ein gutes Szenario. Ohne Sorgen, dass es entweder in die eine oder andere Richtung kippt, wird es aber kaum Realität werden. Die Börsenampel für das Aktienumfeld bleibt unentschieden.
Die noch vorherrschenden übergeordneten („sekundären“) Abwärtstrends sind trotz der Kursgewinne seit Juni noch intakt. Allerdings hat das Abwärtsmomentum so deutlich nachgelassen, dass von den Juni-Gewinnen eine Trendwende eingeleitet worden sein könnte. Bei der Beobachtung neuer Hochs und Tiefs bei Aktienindizes zeigen sich bislang erst wenige und zudem meist untergeordnete neue Hochs. Die von großen US-Konzernaktien geprägten globalen Aktienindizes zeigen neben US-Aktienindizes die deutlichsten Anzeichen einer übergeordneten Trendwende nach oben. So erreichte der viel beachtete Weltaktienindex auf Wochenschlusskursbasis ein neues 26-Wochen-Hoch. Für ein Kaufsignal reicht es aber noch nicht, denn noch sind die trägen (auf Basis gleitender Durchschnitte berechneten) Sekundärtrendfolger leicht negativ.
Von aggressiven Wetten auf eine weitere Dollar-Aufwertung war an dieser Stelle im Juli abgeraten worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Parität zum Euro erreicht. Dass sich damit zumindest das Aufwärtsmomentum des Dollars abschwächen würde, hat sich bestätigt. Tatsächlich könnte sich das Erreichen der Parität als Endpunkt der Dollar-Stärke erweisen. Wahrscheinlicher als eine starke Euro-Erholung ist aber eine Seitwärtsbewegung in der Bandbreite bis 1,04 USD/EUR oder allenfalls bis 1,08 USD/EUR.
Für die Aktienmärkte ist es letztendlich immer das Verhältnis von Aktienangebot zu Aktiennachfrage, das die Kurse bestimmt. Zur Aktiennachfrage tragen ganz unmittelbar die zahlreichen und umfangreichen Aktienrückkaufprogramme der Unternehmen selbst bei. Mittelbar erhöhten Aktienrückkäufe aber auch aus fundamentalanalytischer Sicht den Wert der verbliebenen Aktien, weil Substanz und Gewinne der Unternehmen auf weniger Aktien verteilt werden. Es ist richtig von Fondsmanagern, Aktienrückkaufprogramme bei der Aktienselektion zu berücksichtigten. Umgekehrt vergrößern Neuemissionen und Kapitalerhöhungen mit dem Verkauf junger, neuer Aktien das Aktienangebot. Weil sich die Unternehmen selbst, vor allem aber Alteigentümer, ungern zu niedrigen Bewertungen von ihren Beteiligungen trennen, häufen sich Neuemissionen und Kapitalerhöhungen, wenn die Märkte optimistisch in die Zukunft blicken. In dem von ungewöhnlich vielen Krisen und Unsicherheiten geprägten Umfeld seit 2020 hat das Aktienangebot von dieser Seite abgenommen, während gleichzeitig Aktienrückkaufprogramme nach der Zurückhaltung 2020 seit 2021 wieder stark angestiegen sind. Dies hat nicht unwesentlich zur starken Erholung der Aktienmärkte bis Anfang dieses Jahres beigetragen und wirkt weiterhin tendenziell stützend, auch wenn mit Aktienrückkaufprogrammen weniger in der ganzen Breite des Marktes zu rechnen ist als vielmehr selektiv in den Fällen, in denen Unternehmen mit hoher freier Cashflows nichts Besseres anzufangen wissen.
Eher kurzfristiger wirkt das Verhalten der Leerverkäufer auf das Verhältnis von Aktienangebot und -nachfrage. Leerverkäufe (vor allem von Hedgefonds) haben zu dem starken Angebotsdruck an den Aktienmärkten im ersten Halbjahr erheblich beigetragen. Im Kursrutsch kam keine breite Verkaufspanik auf, sondern eher die nachlassende Bereitschaft, (noch mehr) Aktien zu kaufen. Das Eindecken dieser Leerpositionen hat inzwischen in vielen Fällen stattgefunden – zunächst um die Jahresmitte herum mit schönen Gewinnen, dann angesichts der steigenden Kurse im Juli zunehmend im Rahmen des Risikomanagements. Die Eindeckungskäufe der Short-Positionen waren also ein wichtiger Treiber der deutlichen Kurserholung nach der Jahresmitte. Doch die Aktiennachfrage von dieser Seite dürfte jetzt nachlassen.
Die Timing-Uhr empfiehlt weiterhin einen vorsichtigen, antizyklischen Positionsaufbau – nach Branchen mit möglichen Schwerpunkten bei Finanz- und Telekom-Werten für einen langfristigen Positionsaufbau an. Prozyklisch zeigt die empfohlene Biotechnologie-Branche eine verbesserte Trendindikation: Nach einem Doppeltief im Mai und Juni ging es mit dem Nasdaq Biotech Index (NBI) schon um gut 20 Prozent aufwärts. Auf diesem Niveau dürfte sich das Zwischenhoch vom April zunächst als Widerstand erweisen. Doch mittelfristig besteht weiteres Erholungspotenzial, so dass ein Abprallen des NBI am Bereich um 4.300 nach unten genutzt werden sollte, den Positionsaufbau in Biotech-Fonds fortzusetzen. Antizyklische (Teil-) Gewinnmitnahmen kann man dagegen bei Indien-Investments prüfen. Die wichtigen Leitindizes des Landes notieren nach einer Mitte Juni beginnenden Erholungsrallye wieder auf oder nahe Rekordniveaus. Die (KGV-) Bewertung des indischen Aktienmarktes liegt über dem eigenen historischen Durchschnitt und dem Durchschnitt der Emerging Markets.