In den ersten neun Monaten dieses Jahres beispielsweise stieg der S&P-500 im 11,7 Prozent und der Nasdaq-100 sogar um 36,9 Prozent. Der US-Nebenwerteindex Russell-2000 verzeichnete im gleichen Zeitraum gerade mal ein Plus von 1,4 Prozent. Oder der DAX: Sein Plus aus den ersten drei Quartalen dieses Jahres beträgt 10,5 Prozent, während der MDAX mit einem Anstieg um 3,8 Prozent nicht einmal ein Drittel davon schaffte. Die Gründe für den Rückzug der Anleger als den Nebenwerten sind mannigfaltig: Vor allem die Angst vor einer drohenden Rezession lässt Standardwerte sicherer erscheinen. Bei den kleinen Unternehmen sind die Sorgen größer, dass der Inflations- und Zinsanstieg bei gleichzeitig schwächerer Konjunktur zu negativen Überraschungen führen könnte. Die geringere Zahl an Analysten, die sich mit Nebenwerten beschäftigen, tragen zu dieser Wahrnehmungsverzerrung bei. Mehr Berechtigung hat das Argument geringerer Handelsliquidität. Einen Bewertungsaufschlag, wie er aktuell zu beobachten ist, rechtfertig dies aber nicht. So dürfte es auch ein Ergebnis der vielen passiv angelegten Gelder sein, die mittels ETFs undifferenziert in Indexschwergewichte strömen.
Die Underperformance der Nebenwerte ist inzwischen so auffällig, dass man in der Börsengeschichte schon weit zurückgehen muss, um ähnlich auseinanderklaffende Entwicklungen zu finden. Aber das Phänomen gab es immer wieder mal. Ähnlich stark Anfang der 1970er Jahre, als insbesondere in den USA großen Konzernen hohe Bewertungsaufschläge zugestanden wurden. Die „Nifty Fifty“ koppelten sich von der Entwicklung der Nebenwerte ab. Und die Begründungen zeigten Parallelen zu heute: Die Aufmerksamkeit galt den „großen Erfolgsstorys“, von denen man glaubte, sich müssten sich fortschreiben lassen. Schließlich verfügten die großen Konzerne über die Mittel und „Burggräben“, sich an der Spitze zu halten. Monopolartige Positionen würden den Aufstieg kleiner Konkurrenten verhindern, die ja gegebenenfalls auch einfach aufgekauft würden. Die hohe Bewertung dieser Aktien sei durch deren hohe Qualität und ihr weiteres Wachstum gerechtfertigt. Argumente, die man auch heutzutage von Fondsmanagern so oder so ähnlich hört, die in überwiegend hochkapitalisierten Aktien investiert sind. Manager von ausschließlich oder überwiegend auf Nebenwerte ausgerichteten Fonds verweisen dagegen auf die historisch außergewöhnlich hohen Bewertungsabschläge der Small Caps. Geoff Dailey von BNP Paribas verwies jüngst auf den Rückgang des Kurs-Buchwert-Verhältnis‘ (KBV) beim Russell-2000. Dieses sei seit Ende Juli um 16 Prozent auf 1,8 gesunken. „Das entspricht fast dem größten jemals verzeichneten Abschlag gegenüber Large Caps.“ Zugleich liege das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 20 Prozent unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Marcus Ratz, Portfoliomanager für europäische Nebenwerte bei Lupus Alpha bezifferte den Bewertungsabschlag von deutschen Nebenwerten unlängst auf 30 Prozent. „Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs) der Large Caps liegen nach dem starken Drawdown im vergangenen Jahr nun wieder nahe ihres 15-Jahres-Durchschnitts. Small Caps hingegen handeln nach wie vor rund 30 Prozent darunter. Noch viel beachtlicher ist, dass Small Caps aktuell geringer bewertet werden als Large Caps. Dies ist ein seit 2007 einmaliger Vorgang“, kommentierte Ratz die Situation. Er verwies darauf, dass sich im Nebenwertesegment zahlreiche innovative Unternehmen mit hohen Wachstumsraten befinden. Dies werde normalerweise entsprechend eingepreist. Derzeit sei das aber nicht der Fall. Die aktuellen Bewertungen böten laut Ratz eine seltene Einstiegsmöglichkeit in ein Segment, das aus seiner Sicht zu Unrecht pauschal abgestraft wurde. Ähnlich sehen das viele andere Fondsmanager, die sich mit deutschen und europäischen Nebenwerten beschäftigen, darunter Marcel Maschmeyer von Paladin. In einem von ihm durchgeführten Peer-Group-Vergleich beziffert er die durchschnittliche Performance von 9 betrachteten Blue-Chips-Fonds in den ersten zehn Monaten dieses Jahres auf plus 10,3 Prozent, während 14 Small-Caps im Durchschnitt 6,1 Prozent verloren und 8 Micro-Cap-Fonds sogar ein Minus von durchschnittlich 14,6 Prozent erlitten haben.
In den 1970er Jahren setzten sich die Small Cap-Stockpicker schließlich durch: Während die „Nifty Fifty“ nach und nach ihren Nimbus und damit ihre Bewertungsaufschläge verloren, konnten Fondsmanager mit ausgewählten, aber unpopulären Aktien die Indizes zum Teil deutlich schlagen.
Fazit: Performance-Unterschiede bei Aktienfonds sind aktuell zu einem großen Teil auf das Auseinanderlaufen von Standard- und Nebenwerten zurückzuführen. Man sollte sich davor hüten, diese Entwicklung für alle Zukunft fortzuschreiben. Der Blick zurück in die Börsengeschichte lässt vielmehr eine Mittelwertrückkehr, also eine Gegenbewegung hin zum langfristigen Durchschnitt erwarten. Anleger und Berater sollten Nebenwertefonds jetzt nicht mit einem Liebesent- und Mittelabzug strafen sondern, im Gegenteil, solche Investments antizyklisch verstärken.