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Gibt es „sichere Häfen“ mit „Ankeraktien“?

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Die gezielte, bewusste Auswahl von Aktien – das ist, so sagen auch die meisten Manager von Aktienfonds selbst, der Kern ihrer Tätigkeit: Darin besteht aktives Management im Gegensatz zur Aufnahme von Aktien in ein Portfolio nur aufgrund ihrer Indexzugehörigkeit, wie es bei passiven Strategien geschieht. Die Meinungen gehen allerdings weit auseinander, nach welchen Kriterien Aktien ausgewählt werden sollen. Mehrheitlich wird seit Jahren von Fondsmanagern dabei „Qualität“ genannt – noch vor „Bewertung“. Was diese „Qualitäten“ von Aktien ausmacht, ist nicht einheitlich definiert. Aber meist wird damit auf eine starke Wettbewerbsposition, ein durch sogenannte „Burggräben“ geschütztes Geschäftsmodell abgestellt. Dies sichere höhere Margen, letztendlich also die Profitabilität. Kennzahlen wie die (Eigen-) Kapitalrentabilität, Return on Investment (ROI) bzw. Return on Invested Capital (ROIC) machen dies quantifizierbar.

Es lohne sich, auf Qualität zu setzen, weil diese sich langfristig auszahle, so die oft gehörte Argumentation. Belegen lässt sich dies, zumindest für die jüngere Vergangenheit anhand eines Vergleichs des MSCI World Quality Index mit dem marktbreiten Gesamtindex MSCI World. Im ersten Kalenderhalbjahr 2024 lag die Outperformance der Qualitätsaktien bei gut sechs Prozentpunkten. Einen großen Vorteil besäßen Qualitätsaktien zudem hinsichtlich der Kursrisiken. Aktien von Unternehmen mit soliden Bilanzen, dauerhaftem Wachstum und starken Wettbewerbspositionen sollen, wenn überhaupt, weniger unter Kursverlusten leiden. Allerdings hat es sich mehrfach in der Börsengeschichte als falsch erwiesen, Technologieaktien mit Qualitätsaktien gleichzusetzen. Der Erfolg von Tech-Aktien steht und fällt mit deren Technologieführerschaft. Angesichts der Schnelllebigkeit moderner Technologien sind die Risiken für Tech-Aktien langfristig höher als die Anleger es wahrnehmen wollen und es die Märkte einpreisen.

„Sichere Häfen“ oder „Ankeraktien“ werden deshalb gerne in anderen Branchen verortet: bei Konzernen mit starken Marken im Nahrungsmittelbereich und in der Luxusgüter-Branche. In diesem Universum konnten Fondsmanager in den vergangenen Jahre mit Qualitätsaktien herausragende Rendite / Risiko – Ergebnisse erzielen. Einige entsprechend ausgerichtete Themenfonds haben dabei wiederholt den MSCI Welt geschlagen. „Wir sind der Ansicht, dass die strukturellen Trends die Verbraucherausgaben weltweit langfristig unterstützen“, hieß es beispielsweise im März vergangenen Jahres bei einem Anbieter eines entsprechenden Themenfonds. „Die digitalen Investitionen der Premiummarken während der Pandemie haben ihren Zugang zu neuen Märkten mit jüngeren, weiter entfernten Verbrauchern erweitert. Außerdem sind wir der Ansicht, dass die Verbraucher hochwertige Produkte zunehmend als Wertaufbewahrungsmittel ansehen, was sie in einem inflationären Umfeld noch attraktiver macht.“ Besonders interessant finde man die finanzielle Disziplin und die starke Preissetzungsmacht der Premiummarken: „Sie haben einen anhaltenden Anstieg der Preise für hochwertige Waren ermöglicht. Die Verkaufsmengen sind trotz dieser Preiserhöhungen weiter gestiegen, sodass die Margen länger hoch bleiben.“ Doch die seitdem vergangenen anderthalb Jahre versetzten dieser und vergleichbaren Strategien einen Dämpfer. Die Kursentwicklung blieb hinter dem MSCI Welt zurück. Und die Liste der früher von vielen Fondsmanagern gefeierten Aktien, die nun Kursverluste brachten, wurde länger. So hat die Nestle-Aktie beispielsweise seit Anfang 2022 über 30 Prozent ihres Wertes verloren. Zuletzt fiel sie auf den tiefsten Wert seit über fünf Jahren. „Luxus geht immer“? Auch das ist schon lange kein „sicherer Hafen“ mehr: Die Aktie von LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton bestätigt jüngst ihren Abwärtstrend mit einem neuen Jahrestief. Allein seit März dieses Jahres verlor die Aktie über 25 Prozent ihres Wertes, die Aktie des französische Luxuskonzern Hermes im gleichen Zeitraum rund 20 Prozent. Kering, Inhaber von Marken wie Gucci, Saint Laurent oder Brioni, ist schon seit 2021 im Abwärtstrend. Von der damaligen Spitze aus gerechnet ist nur noch ein Drittel des damaligen Börsenwertes übrig. Und der ebenfalls französische Marken-Spirituosen-Konzern Pernod Ricard hat seinen Börsenwert seit April vergangenen Jahres in etwa halbiert.

Die Unternehmensnachrichten passten in vielen Fällen nicht zu den hohen Bewertungen: Nestlé musst seine eigenen Erwartungen an Wachstum und Gewinn im laufenden Jahr nach unten revidieren. Die Möglichkeiten, Preise zu erhöhen, sind nicht mehr so hoch. Im ersten Halbjahr hatte sich das Umsatzwachstum des weltgrößten Lebensmittelherstellers noch auf höherer Preise gestützt, war allerdings schon hinter den Erwartungen des Marktes zurückgeblieben. Beim Spirituosenhersteller Pernod Ricard hat der Markt die Nachfrageschwäche in China und in den USA unterschätzt. Während Einzelhändler in Nordamerika ihre hohen Lagerbestände abbauten, verzichteten Verbraucher in China angesichts einer schwächelnden Wirtschaft eher auf die teuren Spirituosen des Herstellers von Marken wie Absolut Vodka, Jameson und Havana Club. Der Inlandsabsatz der französischen Spirituosenhersteller ist schon das dritte Jahr in Folge rückläufig. Das Verkaufsvolumen im Handel schrumpfte 2023 im Vorjahresvergleich um 4,3 Prozent auf 251 Millionen Liter und sank in den ersten Monaten dieses Jahres weiter um 5 Prozent. Gegenüber 2020 summiert sich der Rückgang des Verkaufsvolumens auf rund 10 Prozent. Hermes überstand Dank seiner Ausrichtung auf die wohlhabendsten Kunden die Abkühlung der Luxusgüternachfrage zunächst besser. Allerdings deuteten die jüngsten Geschäftsergebnisse auch im Luxusgütersektor darauf hin, dass wohlhabende Verbraucher ihre Ausgaben in weiten Teilen der Welt reduzieren, sodass auch die erfolgsverwöhnte Hermes-Aktie ihren Aufwärtstrend seit April trotz vergleichsweise guter Geschäftsergebnisse nicht mehr fortsetzen konnte.

Immer häufiger wird China als Grund für die schlechte Entwicklung angeführt: Konzerne weltweit leiden unter der schleppenden Nachfrage in der Volksrepublik. Und die Luxusbranche ist besonders betroffen. Denn China war vor allem für die aus Europa stammenden Luxuslabels lange der wichtigste Wachstumsmarkt. Zuletzt wurden 23 Prozent der globalen Umsätze mit Luxusgütern in China erzielt. Damit ist eine Abhängigkeit von einem politisch gefährdeten Markt entstanden – ein Risiko, das lange nicht eingepreist wurde.

Einmal mehr zeigt sich, dass es die in jedem Umfeld störungsfrei immer weiterwachsenden Unternehmen nicht gibt. Wenn Fondsmanager das behaupten, ist größte Vorsicht angebracht. Denn so einfach ist aktives Fondsmanagement nicht. Und wenn es so einfach wäre, wären wohl entsprechende Branchen-ETFs die beste Wahl.

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